Zizek on the war

Doug Henwood dhenwood at panix.com
Sat Apr 3 09:14:48 PST 1999


[My German just isn't up to this. Can anyone here summarize?]

<http://www.ZEIT.de/tag/aktuell/199914.serbien_.html>

Nr. 14/1999

Die doppelte Erpressung

Krieg im Kosovo. Der Westen bekämpft mit Milocevic' Regime ein Monster, das er selbst erschaffen hat. Über den Beginn und das Ende einer neuen Weltordnung

Von Slavoj Zizek

Der Hauptgewinner im Wettbewerb um den größten Trottel des Jahres 1998 war ein lateinamerikanischer patriotischer Terrorist, der eine Briefbombe an das US-Konsulat schickte, um gegen die amerikanische Einmischung in die Politik seines Landes zu protestieren. Als pflichtbewußter Bürger schrieb er seine Adresse auf den Umschlag, vergaß jedoch, Briefmarken aufzukleben, so daß die Post den Brief an ihn zurückschickte. Da er ihn vergessen hatte, öffnete er den Brief und jagte sich selbst in die Luft - ein perfektes Beispiel dafür, daß ein Brief letztlich immer seinen Schickungsort erreicht.

Widerfährt Slobodan Milocevic' Regime mit dem aktuellen Nato-Bombardement nicht etwas ganz Ähnliches? Jahrelang hat Milocevic Briefbomben an seine Nachbarn geschickt, nach Albanien, Kroatien und Slowenien. Er legte Feuer rund um Serbien. Sein letzter Brief ist schließlich zu ihm zurückgekommen. Hoffen wir, daß die Nato-Intervention dazu führt, daß Milocevic zum politischen Trottel des Jahres wird.

Es liegt eine Art poetischer Gerechtigkeit darin, daß der Westen schließlich im Kosovo eingegriffen hat, denn dort, vergessen wir das nicht, hat der Aufstieg des Slobodan Milocevic begonnen. Der Pfeil trifft den, der ihn abgeschossen hat, indem er das Gespenst ethnischer Leidenschaften freigesetzt hat. Der Zerfall Jugoslawiens begann nicht, als die slowenische "Sezession" einen Dominoeffekt auslöste (erst Kroatien, dann Bosnien, dann Makedonien...), sondern bereits mit Milocevic' Verfassungsreformen im Jahr 1987, die dem Kosovo und der Vojvodina die Autonomie raubten. Von diesem Moment an lebte Jugoslawien nur weiter, weil es noch nicht bemerkte, daß es bereits tot war.

Es ist einfach, die Bombardierung Jugoslawiens durch die Nato als erste Intervention in ein Land mit voller nationaler Souveränität zu preisen. Ist es nicht angenehm zu sehen, daß die Nato-Truppen nicht bestimmter ökonomischer Interessen wegen eingreifen, sondern schlicht deshalb, weil ein Land die Menschenrechte einer anderen ethnischen Gruppe grausam verletzt? Ist das nicht die einzige Hoffnung in unserer Zeit, daß eine international anerkannte Gewalt garantiert, daß alle Länder ein Minimum an ethischen Standards respektieren? Doch die Situation ist komplexer, und das wird schon dadurch deutlich, wie die Nato selbst ihre Intervention rechtfertigt: Die Erwähnung der Menschenrechtsverletzung geht stets einher mit einem vagen Hinweis auf "strategische Interessen".

Die Nato als Retter der Menschenrechte - das ist nur eine von zwei Geschichten, die man über die Bombardierung Jugoslawiens erzählen kann. Die zweite Geschichte betrifft die andere Seite der vielgerühmten neuen ethischen Weltpolitik, die es erlaubt, die nationale Souveränität zu verletzen, um die Menschenrechte zu schützen. Einen ersten Eindruck von der anderen Seite gewinnt man, wenn man beobachtet, wie die westlichen Medien einen lokalen "Kriegsherrn" zur Personifizierung des Bösen stilisieren. Ob Saddam Hussein oder jetzt Milocevic - immer heißt es: "die Gemeinschaft der zivilisierten Länder gegen..." Aber auf welchen Kriterien beruht diese Unterscheidung? Warum Albaner in Serbien beschützen, nicht aber Palästinenser in Israel, Kurden in der Türkei et cetera? Und hier bekommen wir es natürlich mit der schattigen Welt des internationalen Kapitals zu tun...

In seinem soeben erschienenen Buch Censored 1999 enthüllt Carl Jensen, daß die bestgehütete Story des Jahres 1998 ein halbgeheimes internationales Übereinkommen mit dem Titel MAI (Multilateral Agreement on Investment) war. Das Hauptziel von MAI: die ausländischen Interessen von multinationalen Unternehmen zu schützen. Das Übereinkommen wird die Souveränität der Nation unterminieren, weil es den Großkonzernen fast dieselbe Macht verleiht wie den Ländern, in denen sie angesiedelt sind. Regierungen werden nicht mehr in der Lage sein, die einheimischen Firmen besser zu behandeln als die ausländischen Unternehmen. Die Konzerne können dann souveräne Staaten verklagen, wenn diese ihnen unzumutbar erscheinende ökologische oder andere Standards vorgeben.

Renato Ruggerio, der Direktor der World Trade Organization, bejubelt dieses Projekt, das fast ohne Medienaufmerksamkeit entwickelt wurde, bereits als "Grundstein einer neuen globalen Wirtschaft". Genau dies ist also die Kehrseite der vielgerühmten neuen globalen Moralität, die sogar von einigen neoliberalen Philosophen als Beginn einer Ära gerühmt wird, in der die internationale Gemeinschaft Staaten selbst in ihrem eigenen Territorium daran hindert, Verbrechen wider die Menschenrechte zu begehen.

Auch diese andere Geschichte hat also ihre ominöse militärische Seite. Die letzten amerikanischen Interventionen läuteten eine neue Etappe in der Militärgeschichte ein - Schlachten, in denen der Angreifer fast schon unter Zwang steht, keine Opfer in den eigenen Reihen zu haben. Und war der Kontrapunkt dazu nicht die fast schon surreale Kriegsberichterstattung von CNN? Der Golfkrieg wurde nicht nur von amerikanischer Seite als TV-Ereignis präsentiert, die Iraker selbst haben ihn so behandelt. Tagsüber war Bagdad eine normale Stadt voller Leute, ganz als wären Krieg und Bomben irreale alptraumhafte Gespenster, die nur nachts auftauchten.

Erinnern wir uns an den letzten amerikanischen Angriff auf den Irak während des Golfkriegs: keine Fotos, keine Berichte, nur Gerüchte, daß Panzer, von Bulldozern geschützt, die irakischen Schützengräben überrollten und Tausende Soldaten in Erde und Sand begruben. Was dort vorging, war in seiner schieren mechanischen Effizienz so grausam, daß Bilder die öffentliche Meinung zu negativ beeinflußt hätten und eine totale Zensur verhängt wurde, ein Blackout. Hier verbinden sich die beiden Aspekte: die neue Wahrnehmung des Krieges als eines technologischen Ereignisses, das hinter Radar- und Computermonitoren stattfindet, und die extreme physische Grausamkeit, die für den Blick der Medien nicht zu ertragen ist. Als Jean Baudrillard verkündete, der Golfkrieg habe nicht stattgefunden, konnte man diese Aussage also auch dahingehend verstehen, daß die traumatischen Bilder, die für das Reale des Krieges stehen, völlig zensiert wurden.

Wie können wir diese beiden Geschichten zusammendenken, ohne ihre jeweilige Wahrheit zu opfern? Was wir hier vorfinden, ist eine politische Illustration jener berühmten Zeichnung, auf der man entweder den Kopf eines Hasen oder den einer Gans erkennt, je nachdem, welchen Blickwinkel man einnimmt. Wenn wir die aktuelle Situation in einer bestimmten Weise betrachten, sehen wir die internationale Staatengemeinschaft, die einem nationalistischen, neokommunistischen Führer, der ethnische Säuberungen vornimmt, minimale Menschenrechtsstandards aufzwingt. Wenn wir die Perspektive verändern, sehen wir, wie die Nato, der bewaffnete Arm einer neuen kapitalistischen Weltordnung, die Interessen des Kapitals durchsetzt, und zwar in Form einer ekelhaften Travestie, in der sie als interessenloser Beschützer der Menschenrechte posiert, der ein souveränes Land attackiert.

Was wäre jedoch, wenn man sich dieser doppelten Erpressung entzöge (wenn man gegen den Nato-Schlag ist, ist man für Milocevic' protofaschistisches Regime, und wenn man gegen Milocevic ist, unterstützt man die neue kapitalistische Weltordnung)? Was wäre, wenn die Entgegensetzung von aufgeklärter internationaler Intervention gegen ethnische Fundamentalisten auf der einen Seite und heroischem Widerstand gegen die neue Weltordnung auf der anderen Seite falsch ist? Was, wenn ein Phänomen wie Milocevic' Regime nicht der Gegensatz zur neuen Weltordnung wäre, sondern ihr Symptom, der Schauplatz, an dem ihre versteckte Wahrheit ans Tageslicht tritt? Einer der amerikanischen Verhandlungsführer sagte kürzlich, Milocevic sei nicht Teil des Problems, sondern das Problem selbst. Ja, aber war das nicht von Anfang an klar? Warum sonst hätten die westlichen Mächte so lange gezögert einzugreifen, Milocevic jahrelang Schützenhilfe geleistet, ihn zum Stabilitätsfaktor in einer Krisenregion stilisiert und die Augen verschlossen vor klaren Fällen von serbischer Aggression?

Wenn der Westen Milocevic bekämpft, bekämpft er nicht seinen Feind, einen der letzten Opponenten gegen die liberaldemokratische neue Weltordnung, er bekämpft vielmehr seine eigene Kreatur, ein Monster, das aus den Kompromissen und Inkonsistenzen der westlichen Politik selbst erwachsen ist. In den letzten zehn Jahren hat der Westen ein Hamlet-artiges Zaudern gegenüber dem Balkan an den Tag gelegt, und die aktuelle Bombardierung trägt alle Züge von Hamlets finalem mörderischen Ausbruch, der eine Menge unnötiger Toter zur Folge hat (nicht nur den König, sein eigentliches Ziel, sondern auch seine Mutter, Laertes und Hamlet selbst...), weil Hamlet zu spät handelt. Und auch der Westen zahlt in der aktuellen Intervention den Preis für all die Jahre des Zögerns.

Eins ist sicher: Die Bombardierung Jugoslawiens durch die Nato wird die geopolitischen Koordinaten der Welt verändern. Der ungeschriebene Pakt einer friedvollen Koexistenz ist gekündigt. Der erste Eingriff der neuen Weltpolizei, die sich das Recht herausnimmt, souveräne Staaten für ihre Fehler zu bestrafen, signalisiert jedoch zugleich bereits das Ende der neuen Ordnung, denn es ist sofort evident geworden, daß die Universalität der Menschenrechte als Legitimation falsch ist, das heißt, daß sich hinter der Auswahl bestimmter Ziele bestimmte politische Interessen verbergen. Die Bombardierung bedeutet zugleich das Ende jeder ernsthaften Rolle von Uno und Sicherheitsrat. Es ist die Nato, die alle Fäden in der Hand hält. Darüber hinaus ist ein stiller, bis heute gültiger Pakt mit Rußland gebrochen worden: Rußland wurde öffentlich immer noch als Supermacht behandelt, doch jetzt ist es offen gedemütigt worden. Schließlich wird die logische Folge der neuen Situation natürlich das erneute Aufkommen antiwestlicher Tendenzen sein, mit der traurigen Konsequenz, daß kriminelle Figuren wie Milocevic als Streiter gegen die neue Weltordnung gefeiert werden. Die Lektion lautet also, daß die Alternative zwischen einer neuen Weltordnung und neorassistischen Nationalisten keine ist - es handelt sich um die zwei Seiten einer Medaille. Die neue Weltordnung gebiert selbst die Monstrositäten, die sie bekämpft. Deswegen gehen die Proteste der kommunistischen Parteien überall in Europa, und so auch der PDS, völlig fehl. Der Weg, die kapitalistische Weltordnung zu bekämpfen, führt nicht über die Unterstützung lokaler Faschisten.

Man muß sich statt dessen der einzigen relevanten Frage heute stellen: Wie kann man transnationale politische Institutionen errichten, die stark genug sind, der unumschränkten Herrschaft des Kapitals Widerstand zu leisten, und die politisch sichtbar machen, daß die fundamentalistischen Widerstände gegen die neue Weltordnung, von Milocevic über Le Pen bis zur extremen Rechten in ganz Europa, Teil dieser Herrschaft sind?

Aus dem Englischen von Christian Jürgens



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